Freitag, 16. November 2012

Verschwinden aus dem „Lebenszimmer“

 

KRIMIHERBST Lesung mit Friedrich Ani

Tabor Süden dränge sich ihm auf, komme stets zurück. Ohne ihn könne er seine Geschichten nicht erzählen. So der Münchner Autor Friedrich Ani, zu der Frage der Moderatorin Ruth Fühner, warum er, trotz anderslautender Beteuerung, erneut einen Kriminalroman mit dieser Hauptfigur geschrieben habe. Verschmitzt und augenzwinkernd geäußert, wie das Meiste, was Ani sagte.

Kellnerin verschwunden

Die vielen Zuhörer in der Villa Clementine ließ er spüren: Da steckt noch mehr dahinter. Ungeduldig, manchmal genervt, mit den Fingern auf der Tischplatte trommelnd, ließ er die Fragen über sich ergehen, antwortete eingeübt und wollte eigentlich nur eins, seine Texte vorlesen. Das tat er dann natürlich auch, professionell und sehr eindringlich. Sofort wurde klar, wie intensiv das Verhältnis des Autors zu seiner Hauptfigur, dem ehemaligen Polizisten Tabor Süden ist. Schnell war das Publikum in den neuen Fall „Süden und das herrliche Leben“ eingetaucht und verfolgte gespannt die ersten Ermittlungsansätze um die verschwundene Kellnerin Ilka Senner.

Das Verschwinden einer Person aus ihrem „Lebenszimmer“ und die Suche nach ihr, das ist sein Thema, das des Autors und das seines Ermittlers, der mittlerweile als Privatdetektiv arbeitet, zuständig ausschließlich für „Vermissungen“. Das Lebenszimmer sei der Raum, in den wir hineingeboren werden, in dem wir auch sterben. Nur manchmal gäbe es darin eine geheime Tür, durch die jemand unerwartet verschwindet.

Als einen völlig anderen Autor präsentierte er sich im zweiten Teil des Abends. Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Schriftsteller ist nicht nur im Krimi-Genre zu Hause. Bühnenstücke, Erzählungen, Jugendromane, Hörspiele und Drehbücher stammen ebenso aus seiner Feder, wie Gedichte. Als er davon einige vorlas, meist aus dem Lyrikband „Mittschnitt“ veränderte sich nicht nur seine Gestik und Haltung, auch seine Stimme bekam eine andere Farbe.

Allein daran war zu erkennen, wie wichtig diese Arbeiten für ihn sind, genauso wie an der Bemerkung: „Es passiert nicht oft, dass ich zu einer Veranstaltung eingeladen werde, bei der ich gleichzeitig aus Kriminalromanen und Lyrikbüchern lesen soll.“ Aber die Lyrik gehöre ebenso zu ihm, wie seine belletristischen Texte. Der Unterschied sei lediglich, dass er sich zum Gedichteschreiben nicht zwingen könne - sie kämen zu ihm, oder auch nicht.

Charismatische Autoren wie Friedrich Ani sind es, die die literarische Szene beleben, das Publikum unterhalten, zum Nachdenken bringen und zum Widerspruch auffordern. Sicherlich bleiben viele von Anis Sätzen, ob erzählt oder gelesen, im Kopf und melden sich spätestens bei der Lektüre seiner Bücher wieder.

Wiesbadener Kurier, 16.11.12